CrazySexyBlog Turn 26

(Was bisher geschah …)

Hallo, Freunde der sonopanferenten Hyperdim-Stratopulsation,

ich bin’s mal wieder. Der kleine Zeitsprung in den Blogdatumsangaben, den ihr beim Weiterlesen sehen werdet, resultiert aus einer Pause, die sich einerseits Tricksy und Bo gegeben hatten, nachdem sie wieder zuhaus waren, andererseits für Izzy und mich ziemlich verpflichtend war, da wir unsere mords-tödlichen Verletzungen in einem Krankenhaus hatten heilen lassen müssen. Unterm Strich hatten wir nur knapp eine fiese Terroristenaktion überlebt, und da kann man auch schon mal anfangen, den Wert des Lebens etwas mehr zu schätzen als sonst. Natürlich heißt das nicht, daß wir nicht auch ab und zu (na ja … etwas mehr als nur ab und zu war’s schon) darüber nachdachten, warum uns das alles eigentlich zugestoßen war und wer diese beiden Furien gewesen waren, die uns und das Personal von VisionQuest vor den Bomben gerettet hatten (und ob sie den Explosionen entkommen konnten). Natürlich hatten wir auch im Nachhinein den berühmt gewordenen KSAF-Stream gesehen, und somit war auch jede Unklarheit beseitigt worden, was VisionQuest zum Ziel der Terroristen gemacht hatte. Allerdings hatte keiner von uns eine Ahnung, wer oder was „Human Nation“ sein sollte. Und ob deren Anführer, den live zu sehen wir ja die zweifelhafte Ehre gehabt hatten, das lustige kleine Stelldichein mit den Damen oder der draußen wartenden Armee überlebt hatte.

Izzy und ich kamen jedenfalls erst am 28.6.2057 aus dem Krankenhaus frei. Ich mußte, kaum in meinem schmucken Eigenheim angekommen, um das sich Bo wirklich rührend gekümmert hatte, erst einmal den Posteingang abarbeiten, und war natürlich hocherfreut, eine Nachricht des Anwalts der Touristenneppbude zu lesen, die mir „wegen Nichterfüllung meines Arbeitsvertrages“ eine Konventionalstrafe von 4000 Nuyen aufdrücken wollten, da ich den gesamten Juni nicht als Hafenrundfahrtskapitän zur Verfügung gestanden hatte. Hey, danke, ihr Rattenkötel, ich war schwerst verletzt worden und hatte trotz guter Heilmagie vier verfraggte Wochen in einer Klinik gelegen.

Leider hatte ich nicht die Zeit und die Muße, denen einen richtigen Advokaten auf den Hals zu hetzen, denn ich war kaum einen Tag daheim, als sich mein bester Schieber Empty Space schon bei mir meldete.
„Tach, du Gummiente.“ Oh. Der Herr war heute früh wohl in die Witzetasse gefallen. „Mach mal die Söckchen scharf. Es geht um einen Warentransport. Der wird nicht ganz unheikel sein, daher bekommt ihr einen Fahrzeugrigger, mit dem ich schon öfter Deals hatte. Der Herr heißt Kwan Ly und verbringt in seinem GMC Bulldog Security quasi den ganzen Tag. Den wirst du brauchen, denn dein großer Freund Bo wird alle Hilfe, die du ihm mit den Drohnen geben kannst, mit Kußhand nehmen. Glaub mir.“
Er sagte mir noch eine Nummer durch, über die ich den Johnson erreichen konnte, und verabschiedete sich dann noch mit „Mast- und Schotbruch.“ Er hatte offenbar wieder ein 17th-Century-Piratentrid geschaut, bevor er mich angerufen hatte. Wenn ich doch nicht so auf ihn angewiesen wäre …

Der Johnson entpuppte sich beim Treffen in einer der hunderttausend kleinen Asiafraß-Buden der Stadt als eine unauffällige Norm-Gestalt ohne irgendwie greifbare Merkmale, die eine Wiedererkennung vereinfacht hätten. Also genau so, wie ein Profi aussah. Nach der Vorstellung kam er ohne Umschweife zum Punkt:
„Es geht um eine einfache Kiste. Diese ist etwa 1m x 1m x 1,5m groß und wiegt bis etwa maximal 150 kg. Die Kiste wird mit einem Hubschrauber am FlatCity-Landeplatz in Redmond angeliefert werden, und zwar am 29.6.’57 gegen 6:30 PM. Nehmen Sie diese Kiste in Empfang und bringen sie irgendwohin, wo sie unangetastet bleiben kann. Ich werde Sie am nächsten Tag anrufen und eine Adresse nennen, an die Sie die Kiste bringen werden. Das ganze wird nicht lange dauern – genauer gesagt, reicht es aus, diese Kiste maximal 24 Stunden von der Bildfläche verschwinden zu lassen, wobei ich dazu betonen möchte, daß das Objekt selbst absolut unbeschädigt bleiben muß sowie keinerlei übermäßigen g-Kräften ausgesetzt wird. Einen Sturz aus einem Meter Höhe überlebt das Objekt, es aus einem Fenster zu werfen würde ich an Ihrer Stelle unter Einsatz meines Lebens zu verhindern suchen, selbst wenn mir dabei wichtige und unersetzbare Körperteile verloren gehen. Ich denke, ich habe die Dringlichkeit dieses Teils des Auftrages deutlich gemacht. Fragen?“

„Nur das Übliche“, erwiderte Izzy, der von uns wie immer der mit der besten Profistimme war. „Die Vergütungsmodalitäten.“
„Natürlich.“ Der Norm nickte. „10.000 Vorschuß, den Rest von 40.000 nach vertragsgemäßer Abwicklung des Auftrages. Weitergehende Unterstützung ist leider nicht möglich – weder vor, noch nach der Plandurchführung.“
Ich übersetzte für mich im Stillen: „wenn einer von euch draufgeht oder als Hirngulasch endet: euer Pech.“ Klar, was hätte ich auch sonst erwarten sollen…

Ich sah dem Johnson hinterher, als er das Bistro verließ und fragte mich, wie diese Auftragsvergabeaktionen wohl aus seiner Warte aussahen. Wie viele Besprechungen dieser Art hatte er heute schon hinter sich gebracht, hatte er in den ersten fünf Besprechungen auch etwas gefuttert, konnte er diesen Sojadunst überhaupt noch riechen?
Ich wurde angestupst, und als ich zur Seite sah, blickte ich in Izzys fragende Visage.
„Äh … „, stotterte ich. „Habsch was verpaßt?“ Tricksy gluckste von der anderen Seite des Tisches. „Und ich bin also die Träumerin, ja?“ stichelte sie.
„Okay“, räusperte sich der breite Ork. „Also nochmal. Die Frage war: was tun wir jetzt? Mein Vorschlag war, ein paar unserer Fluchtverstecke in Augenschein zu nehmen und zu checken, ob sie in diesem Fall passend wären. Und da kämst du dann ins Spiel. Bist du bereit?“
Natürlich war ich das.

*

Ich hielt den Bulldog an der Straßenecke in South Auburn, von der aus ich die alte Feuerwache sehen konnte. Da Straßenbeleuchtungen hier in der Nähe von Puyallup bereits Mangelware waren, wäre es recht einfach gewesen, einen Feuerschein von Kerzen oder ähnlichem Gedöns hinter den zumeist grob vernagelten ehemaligen Fenstern des bruchreifen Gebäudes wahrnehmen zu können, aber es schien so, als hätten wir keine unerwarteten Besucher bekommen. Izzy und Tricksy schlichen sich zum Seiteneingang der Wache, und mir blieb nur die Fernsicherung, weil sich beide dagegen ausgesprochen hatten, meine Dobermann als Begleitschutz mitzubekommen. „Zu laut“, hatten sie gesagt. Pfff. Auch Bo war gerade nicht verfügbar, da er Kontakte abklappern mußte. Fiel also auch flach. Jetzt mußten sie also beide allein klarkommen… aber vielleicht war ich gerade auch nur wieder einmal übervorsichtig. Wenigstens konnte ich ihren Transceiver-Stream im Ohr behalten.
Drinnen angekommen, gingen sie kurz durch alle Räume. Schön zusammen, keine Einzelgängereien – so wie ich das mochte. Jeden Raum kommentierten sie mit „clean“. Und zum Schluß setzte sich Tricksy offenbar irgendwo hin, jedenfalls, wenn ich das Rascheln richtig deutete. Von Izzy hörte ich flüsternd „Wunder dich nicht, wenns jetzt gleich jault.“ Ich konnte hören, wie er grinste.
„Ich hab das gehört“, ätzte Tricksy. „Ich beschwöre gleich ’nen Herdgeist, der sich bei mir melden soll, wenn jemand ins Haus kommt, damit wir nicht ausgerechnet zum ungünstigsten Zeitpunkt hier ungebetenen Besuch haben. Wie wärs, wenn Dickmops-san so lange mal drauf achtet, daß keiner zur Tür reinlatscht?“
„Ey!“ protestierte der Angesprochene. „Ich bin nicht dick, und die Fernsicherung macht das Elfchen.“
Für einen Moment gab es Kuddelmuddel im Kanal, als ich ebenfalls gegen das „Elfchen“ protestierte und Tricksy den Ork aus dem Raum schimpfte. Dann schnaufte der eigentlich gar nicht so beleibte ex-Detektiv und verzog sich grummelnd ins Treppenhaus, was ich an den knarzenden Stufen erkannte, die sich unter seinem Gewicht bogen. Mh. Vielleicht hatte Izzy wirklich zugenommen?

*

29.6.2057, 19:30 Uhr

„Nein, wir sind vorsichtig“, nuschelte Tricksy in ihr Fon. „Bis nachher.“ Sie deaktivierte die Verbindung und sah uns an. „Also Bo sagt, es war den ganzen Tag niemand in der Nähe der Feuerwache. Und außerdem sagt er, wir sollen bloß vorsichtig sein.“
Der uns von meiner Schieberconnection zur Seite gestellte junge Mann mit den asiatischen Gesichtszügen leistete sich ein leichtes Grinsen. Beim Zusammentreffen hatten wir ihm erzählt, daß wir noch einen großgewachsenen Plempenakrobaten im Gepäck hatten, der jetzt gerade an einer wichtigen Stelle auf uns warten würde, aber unsere eigene Gruppendynamik schien ihm wirklich fremd zu sein. Was aber eigentlich wiederum kein Wunder war, arbeitete er doch laut eigener Aussage meistens und auch lieber allein.
Das war natürlich ein gefundenes Fressen für die Schamanin gewesen. „Allein?“ hatte sie gekräht. „Du hast noch nie in der Tinte gesteckt und bist von einem Bo herausgeballert worden? Oder hast einem Freund den Verfolger weggebasht? Gute Taten? Come on, das kann doch nicht dein Ernst sein… du brauchst dringend Freunde.“
Der arme Kwan war kaum zu Wort gekommen und hatte seine Sätze fünfmal von vorn beginnen müssen, da Tricksy wie eine Halbirre um ihn herumgerannt war und immer neue „Argumente“ gefunden hatte, warum allein arbeiten nicht gut war. Er hatte sich schlußendlich auf die Verteidigungslinie zurückgezogen, die seinen GMC Bulldog – ein in meinen Augen überraschend gut modifizierten und innen geschmackvoll eingerichten ’52er in der Security-Variante – als seinen Partner deklarierte und er demzufolge im Gegensatz zu der kleinen Schamanin keinen Bo brauchte. Izzy und ich hatten uns, äh, vornehm zurückgehalten (oder wie man das nennt, wenn man einfach nur versucht, nicht vor Lachen die Beobachtung der Umgebung zu vergessen) und gehofft, der Asiate würde uns nicht dafür hassen, daß wir das Mädchen auf ihn losgelassen hatten.

Als das Rotorengeräusch eines Helikopters hörbar wurde, brach sie schlagartig ihre Comedyvorstellung ab und wurde ernst. Sie setzte sich hinter einen alten, verschmorten Müllcontainer und schloß die Augen. Wahrscheinlich scannte sie also jetzt die Umgebung auf ungebetenen Besuch, den der Hubi vielleicht im Schlepptau hatte. Ich machte mich auf in das Lademodul des Bulldog, wo ich mich in meine Dobermann einriggte und sie hinausspringen ließ. Jetzt konnte uns eigentlich nichts mehr passieren, solange nicht plötzlich eine Hundertschaft Rote Samurai vom Himmel regnete.
Der Hubi entpuppte sich im Näherkommen als ein echter SRT Helicopter von DocWagon. Allerdings war ich mir sicher, daß dieser Schrauber nur von außen so aussah, denn den Transponder eines echten DocWagon-Rettungshubis konnte jeder Penner auslesen, und wenn ich über der Stadt meiner Träume herumknatternd irgendwas nicht haben wollte, dann einen kleinen elektronischen Verräter, der lauthals in die Gegend brüllte, wohin ich gerade flüchtete. Und der Pilot verstand sein Handwerk, denn die Kiste fiel aus dem Himmel und wurde exakt fünf Zentimeter über dem Boden abgefangen, so daß die Push-Hydrauliken der Landeräder den Untergrund geradezu küßten. Das wiederum hätte zu einem echten DocW-Piloten gepaßt.
Kaum war der Rumpf des Hubis in die Dämpfer gesunken, sprangen schon zwei sehr motiviert aussehende schlanke Gestalten aus der Seitentür, die die ebenfalls schlanken Läufe zweier LMGs in die Gegend hielten, um anzuzeigen, daß jetzt gerade keine gute Zeit für blöde Witze war. Nachdem der eine der beiden LMG-Elfen noch einen prüfenden Blick in die Richtung geworfen hatte, aus der die Maschine angeflogen gekommen war und offenbar mit dem Ergebnis der Sondierung zufrieden war, rief er: „Sauber… Twix, raus mit dir!“
Aus dem Bauch des Hubschraubers schälte sich dann ein etwas behäbig aussehender Troll, der eine große Kiste schleppte. Sie hatte die Maße, von denen der Johnson gesprochen hatte, und der sie tragende Troll machte den Eindruck, sie so vorsichtig zu behandeln, wie es der Johnson uns auch nahegelegt hatte. Ich war mir immer noch nicht sicher, ob ich wissen wollte, warum die Kiste oder ihr Inhalt als so empfindlich bewertet wurde. Manche Sachen sind zu heikel, um ohne Konsequenzen hinterfragt zu werden. Und Leuten wie uns erzählten die Strippenzieher eh nie, was Phase war.

Im Hintergrund meines Bewußtseins spürte ich eine Störung meines Orientierungssinns, und die Augen meines Dobermann-Körpers konnten mir auch gleich den Grund zeigen, denn Mr. Ly hatte jetzt seinen Bulldog in die richtige Richtung gedreht und fuhr dem Tragetroll mit dem Heck voraus entgegen. Ich konnte meinen eigenen Körper im Van liegen sehen, wie er wegen des leicht unebenen Geländes des FlatCity-Platzes im Bulldog hin- und hergeschaukelt wurde. Izzy hatte derweil den Hubi erreicht und sprach kurz mit den Elfen, doch die schienen es darauf anzulegen, schnellstens wieder von hier zu verschwinden, denn sie sagten nur etwas kurzes, was in meinen Mikros nach „Haut ab – hier is bald Party“ klang. Sobald der Troll die Kiste im Bulldog abgesetzt hatte, wirkte er auch gar nicht mehr so behäbig, denn er drehte sich um und spurtete zurück zum Kopter, als bekäme er dicke Credsticks dafür. Keine Sekunde, nachdem der letzte der drei die Schiebetür geschlossen hatte, gab der Pilot Vollschub, und wir wurden mit auf uns einprasselndem Sand und anderem Gekrümel geblendet, während das Fluggerät beeindruckend schnell in einem waghalsigen Tiefflug auf Reisegeschwindigkeit ging.

Wieder in meinen eigenen Körper zurückgekehrt, sah ich die Dobermann wie mit meinem letzten Steuerbefehl gewünscht artig neben der ominösen Kiste im Laderaum stehen, und Tricksy gab soeben vom Beifahrersitz aus das Startzeichen. Beim Anrucken des Bulldog überraschte mich unser neuer Kollege dann noch einmal. Der Motor war eindeutig ziemlich aufgebohrt, und ich hatte es auf der Herfahrt vom Treffpunkt nicht gemerkt. Doch jetzt konnte ich am Geräusch hören, daß da deutliche Leistungsreserven im Triebwerk schlummerten, die mir vorhin nicht aufgefallen waren. Aber eigentlich war das nichts, was mir Sorgen machen sollte. Ganz im Gegenteil. Unterschätzt zu werden kann den Unterschied zwischen einem dicken Creddie in der Hand und einem Uranbrocken im Kopf ausmachen, und der Credstick in der Hand war mir eindeutig lieber.
Vorn begann dann Tricksy zu sprechen und unterbrach damit meine Gedankengänge.
„Wer von euch is‘ neugierig und möchte wissen, was in der Kiste is‘?“
Izzy hob sofort die Hand und grinste.
Ich dachte an meine Gedanken von vorhin zurück: Manche Sachen sind zu heikel, um ohne Konsequenzen hinterfragt zu werden.
Ich hob trotzdem die Hand und antwortete „wenn du’s eh schon weißt, dann raus damit.“
Sie machte eine kurze Pause, die nichts gutes verhieß, und erklärte dann:
„Nein, weiß ich nich. Wenn ich versuche, reinzuguggn, wehrt sich die Kiste. Und das Mistding tut so, als sei das einfach nur mein mangelnder Skill. Mit dem Teil stimmt was nich. Haufenweise nich. Das is kein Hüter – natürlich nich, denn wir fahren ja -, aber ich würd sagen, diese Abschirmung verhindert auch eine Ortung. Trotzdem sollten wir die Köpfe SEHR weit unten halten und hoffen, daß da nich einer ein Spezial-Mojo dran kleben hat. Ihr habt ja den Johnson gehört.“
Ich ergänzte in Gedanken, daß ich auch Empty Space und seine Warnung gehört hatte. Daß wir in einem schwergepanzerten und hart motorisiertem Van saßen, sprach ebenfalls Bände.

*

„Ihr kommt speht“, knurrte Bo vorwurfsvoll mit einem finsteren Blick zu unserem neuen Gesicht, als wir die Kiste aus dem Bulldog gewuchtet und hinter einem Haufen Lumpen im ersten Stock der Feuerwache plaziert hatten.
„Ja, das war ich“, erklärte sich unser Chauffeur. „Recht bald nach der Abfahrt hatten sich ein paar Hellhounds an mein Erdungskabel gehängt, und …“ Bos „Hä?“-Grimasse ließ ihn sich unterbrechen. „405-Hellhounds, Bo“, rief Tricky dazwischen. „Eine Bikergang, die normalerweise nur an der Interstate 405 unschuldige Leute abnervt, aber ’n paar von denen waren irgendwie an uns interessiert.“
Kwan Ly nickte. „Genau. Ich hatte schon mit denen zu tun, aber normalerweise sind zwei oder drei von denen natürlich kein Problem. Naja … heute waren es acht, und da mußte ich einige Umwege fahren.“
Ich stellte die beiden erst einmal einander vor und erklärte dem Troll dann noch einmal, daß Ly einen exzellenten Job gemacht hatte. Damit schien er zufrieden.
„Na gut. Aber jetzt mußt ihr chaben die erste Wache. Ganzen Tag schauen an leere Wande oder auf leere Straße macht mude. Und weckt mich, wenn Probleme kommen.“ Er nickte uns kurz zu und verdrückte sich dann in ein Zimmer neben dem Schatz.
Glücklicherweise verlief die Nacht ruhig.

Pünktlich um Sechs Uhr morgens kam eine Textnachricht rein. Etwas versteckt, aber für uns deutlich sichtbar bekamen wir eine Zieladresse und Uhrzeit zur Ablieferung unseres Geschenks. Und der Übergabetermin war in zwei Stunden am Jefferson Center Building. Wir packten also unsere Sachen und die Kiste, luden die Dobermann ein und machten uns auf den Weg, denn die morgendlichen Blechströme in Richtung Downtown waren nicht zu verachten. Der Jefferson Park in Beacon Hill lag nun gefährlich dicht am Herz der Stadt, so daß ich Sorgen hegte, ob der wuchtige Bulldog nicht die Aufmerksamkeit der einen oder anderen Lone Star-Patrouille erregen würde, aber unser Pilot winkte ab, als ich ihn darauf ansprach. „Das hab ich schon hundertmal durch, Kollege. Mach dir keine Sorgen. Sie sollten die Dobermann nicht sehen, aber alles andere kann ich mit Konzernsprech wegbügeln.“
Tja … keine Ahnung, wie ich diesen Minipanzer tarnen sollte. Am Besten war es wohl, erst gar nicht aufzufallen.

Wir kamen unangefochten durch den Verkehr nach Beacon Hill. Dieser Bezirk war ja so etwas wie ein kleiner aber steiler Hügelkamm, der sich in Nord-Süd-Richtung zwischen dem Lake Washington und dem Industriegebiet am Hafen hinzog, und genau am höchsten Punkt hatten sie die neuen Hochhäuser des Jefferson Center gebaut, so daß man die charakteristische Silhouette der Gebäude bereits aus großer Entfernung sehen konnte. Aber als wir auf den großen Parkplatz vor dem mittleren der drei schlanken Türme fuhren, wurde mir heiß und kalt. Ich hatte insgesamt vier Fahrzeuge gesehen, in denen Leute mit langen dünnen Stäben versuchten, nicht allzusehr aufzufallen, und ich war mir ganz sicher, daß sie mit diesen „dünnen Stäben“ (a.k.a. „Scharfschützengewehre“) sehr präzise kleine schnelle Geschosse spucken konnten. Endgültig im Orkus war meine Zuversicht, als Bo von der anderen Seite des Vans ebenfalls vier Sniper meldete, und ich beeilte mich, Kwan zu erzählen, was wir gesehen hatten. „Möglicherweise wäre es gut, jetzt schon eine Fluchtroute im Auge zu haben. Hast du zufällig einen Rauchgranatenwerfer an Bord?“
Er schüttelte bedauernd den Kopf. „Nope … aber du hast recht – jetzt könnten wir wirklich einen brauchen. Bring mal lieber die Drohne in Stellung, damit du nach hinten feuern kannst. Ich würd dafür die Hecktür ein Stück öffnen.“ Ich griff daraufhin wortlos nach meinem Steuerdeck.
Noch während Kwan den Van wie nach einem geeigneten Parkplatz suchend durch die Reihen der geparkten Autos steuerte, näherte sich uns ein junger Mann, der uns zuwinkte und den Eindruck machte, als wolle er mit uns kommunizieren. Freundlich lächelnd, bremste unser Pilot das Fahrzeug und ließ die Seitenscheibe bei Izzy ein Stück herunter. „Ja bitte?“, fragte unser orkischer Verhandlungsführer unschuldig.
Von draußen vernahmen wir dann eine Stimme, die eine Spur zu angestrengt wirkte, um zu verhindern, daß wir plötzlich alle in Alarmbereitschaft waren. Und er sagte:

„Ihr habt meinen Besitz. Gebt ihn mir. JETZT!“
Dann, nach einer Sekunde des Zögerns, verwandelte er sich in einen Großen Östlichen Drachen. Offenbar sehr ungeduldig, versetzte er dem Bulldog mit einer seiner Pranken einen Schlag, der den immerhin recht schweren Van einen halben Meter zur Seite schob, während er mit fauchender, donnernder Stimme das letzte Wort wiederholte. Okay, ich glaubte ihm, daß er wirklich sehr daran interessiert war, die Kiste zu bekommen. Und ich sah mich außerstande, ernsthaft daran zu glauben, daß es irgendwas auf dieser Welt gab, was mir einen wütenden Großdrachen vom Halse halten würde. Ein Blick aus dem Fenster, dessen Scheiben aufgrund des Tatzenhiebes des Drachen nur noch aus Sprüngen bestanden, zeigte mir außerdem, daß die diversen Scharfschützengewehrträger nun anfingen, sich aus ihren Kisten zu schlängeln und sich auf dem Platz zu verteilen.
Bo schien das auch mitbekommen zu haben, denn plötzlich rief er „Прервать миссию! Fish, Abbruch. Weg chier!“ Und er klang nicht nur ein wenig hektisch.

Kwan tat das einzig richtige. Er entriegelte die eine Hecktürhälfte, an der die Kiste stand, und gab Vollgas. Zugleich nutzte Izzy den plötzlichen Beschleunigungsschub, um die Kiste über das Riffelmetall des Laderaums zielsicher aus der Tür zu treten.
Wer auch immer die Verrückten da draußen mit den Snipergewehren waren – wir waren nicht die einzigen Ziele. Zwar wurde Izzy offenbar von einem Geschoß getroffen, das durch die offene Tür geflogen kam und an einem Träger in der Karosserie abprallte, aber erstaunlicherweise nicht verletzt. Viel dramatischer fand ich, daß ich im Rückwärtsmonitor am Armaturenbrett sehen konnte, wie die Kiste, noch bevor sie auf dem Boden aufschlug, in ein irisierendes Leuchten gehüllt wurde. Gerade noch rechtzeitig, denn eine Millisekunde später schlugen Funken aus dem Leuchten, und es fielen Projektile zu Boden, die direkt aus den Funken zu entspringen schienen.
Schnell wurde die Kiste auf dem Monitor kleiner, und Kwan lenkte den angeschlagenen Bulldog auf unserer Flucht mit Höchstbescheunigung im Zickzack weg von dem Drachen und nahe der Ausfahrt über einen Rasenstreifen, der glücklicherweise abschüssig war, so daß wir aus dem Blickfeld der Scharfschützen waren.
Wir entfernten uns südwärts, versuchten immer im Sichtschatten irgendwelcher Straßenbäume zu bleiben und suchten trotzdem den Himmel ab, in der letztendlich erfolgreichen Hoffnung, nicht den Umriß eines wütenden Großen Östlichen Drachen zu sehen, der uns grillen wollte. Was natürlich gar nicht anders sein konnte, sonst hätte diese schöne Reihe feinster Action-Berichterstattung mit Turn 25 vorzeitig ein unrühmliches Ende ereilt. Und das wollt ihr doch nicht, oder?
Keine Sorge – wir sind Still Alive!

*

„Und dieser Schimmer um die Kiste?“, fragte Izzy, an Tricksy gewandt. Wir fünf saßen auf Stühlen um einen Tisch herum, während in der Werkstatt nebenan der Mechaniker, der Kwans Van normalerweise in Schuß hielt, gerade versuchte, sich einen Überblick über die Schäden am Bulldog zu verschaffen.
„Tja …“, setzte die Schamanin an, bevor sie geräuschvoll ausatmete. „Also …das war wohl ’ne Barriere. Aber sowas hab ich noch nich gesehn. So krank mächtig, daß sie die Luft um die Kiste zum Leuchten bringt.. nee. Aber das war ja auch ’n Drache. Wenn der das war, dann hat der wahrscheinlich alles an Kilowatt da reingeworfen, was er konnte. Die Kiste muß ihm echt scheiße wichtig sein. Und wenn mich einer fragen würde, also … ich würd sagen, daß wir solche Jobs vielleicht lieber nich mehr machen. Wir hatten mehr Glück als Skill. Und das is‘ nich gut für’s Geschäft. Wenn ’n Drache dich tot sehn will, biste nämlich meistens tot.“ Bedrückt nickten wir zustimmend.
Ein Ächzen aus dem Nebenraum ließ uns aufhorchen. Dann kam Kwans Mechaniker um die Ecke geschlurft.
„Da haste dir aber wirklich ganz schön ein’n einschenk’n lassen, Meistah“, krächzte er in Richtung des asiatischen Riggers. „Billich wird dat nich. Da is alles verzogen, die Bleche vabeult, die Scheiben, naja, haste ja gesehn… da is hart was dran zu tun. Also 15 Dicke kann ich dir schon versprechen.“ Wir alle zogen lange Gesichter.
„Unter diesen Umständen“, begann Izzy nach einem peinlich berührten Räuspern, „werden wir wohl den Vorschuß, den wir für den Run bekommen haben, auf den Tisch packen müssen und noch was dazugeben, oder?“ Er schaute uns alle an.
„Naja“, fügte ich schulterzuckend hinzu. „Wenn es meine Kiste gewesen wäre, hätten wir das auch so gehandhabt. Dafür!“
Bo nickte nur, und Tricksy hob etwas müde den Daumen.

Ja, manchmal kommt eben statt eines fetten Gewinns ein Nullsummenspiel raus. Aber wir hatten eine Begegnung mit einem Drachen überlebt, der uns nicht mochte. Das wog alles wieder auf. Und als wir noch den ShadowNews-Artikel bekamen, wurde uns klar, wie viel Glück wir wirklich gehabt hatten. Offenbar war der Drache mit dem Massaker, das er angerichtet hatte, bereits zufrieden gewesen. Hätte ihm das nicht fürs Erste gereicht, hätten wir wahrscheinlich keine Chance gehabt. Danke, liebe unbekannte Verrückte, daß ihr uns den Arsch gerettet habt.

Also: es geht weiter.  Stay tuned und bis bald,
euer Fish.

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