MeL 48: Harlekins Rückkehr Part 6 / Der unmögliche Traum Teil 3 / Das Leben kennt keine Abkürzungen / Timecode unbekannt

Unvermittelt fanden wir uns in der Lobby eines Privatclubs in einem Motel irgendwo in der Wüste wieder. Unsere Überraschung hätte nicht größer sein können, denn alles fühlte sich sehr real an.
Wir trugen unsere Standardausrüstung und hatten vollen Zugriff auf unsere Cyberware. leon checkte die Matrixverbindung ihres Pocketcomputers und stellte erfreut fest, daß diese stabil lief.
Danach rief sie die Lokalisationsroutine ihres Motorrads ab und erhielt die Rückmeldung, daß das Bike sich genau dort befand, wo sie es vor … oh zum grünen Kaktus wievielen gefühlten Monaten hatte stehen lassen.
Eine Überprüfung unserer GPS-Koordinaten verortete uns irgendwo in der Wüste von Arizona, also einige Breitengrade südlich von Seattle.
Vor dem Gebäude parkten eine Reihe von Motorrädern und Autos. Keines davon schien zu uns zu gehören. Wir schienen irgendwie wieder in der Realität gelandet zu sein, zumindest hatten wir keinen der während der Queste gesammelten Gegenstande mehr bei uns. Vielleicht war das genau die Form von Abkürzung, die uns am Besten tat.

„Sie werden erwartet“, wurden wir von hinten angesprochen, während wir noch mit unserem Realitätscheck beschäftigt waren. Ein Kellner hatte sich genähert und führte uns, mehr oder minder wortlos, zu einem Separée nahe der Bühne.
Der Club selbst wirkte ganz annehmbar, und es war nicht unwahrscheinlich, daß wir in einem solchen Club ein Treffen mit einem Johnson haben könnten.
Während wir an der Bühne vorbeigeleitet wurden, schlug der Sänger der Band eine a-capella-Version von „Games without frontiers“ an und ich konnte mir ein Lachen nicht verkneifen.
In dem Separée erwartete uns an einem Tisch sitzend eine attraktive, junge Frau in einem hautengen Spandex-Dress. Hinter ihr stand ein Elf in einem langen, schwarzen Mantel, und auf ihrem Schoß befand sich ein Keyboard, in das sie eine Befehlszeile eingab, welche den in den Tisch eingelassenen Monitor zum Leben erweckte.
Ich konnte leons Blicken entnehmen, daß sie beide gecheckt hatte und keine direkte Gefahr von ihnen auszugehen schien, also nahmen wir Platz und richteten unsere Aufmerksamkeit auf den Monitor.

Ein Kerl in einem weißen Anzug hinter einem schweren, dunklen Schreibtisch blickte zu uns auf.
„Guten Abend. Mein Name ist Bill Foreman. Ihr seid da in etwas hineingeraten, daß ihr nicht verstehen könnt. Und ich denke, wenn ihr da weiter macht, werdet ihr mit Mächten aneinander geraten, gegen die ihr keine Chance habt. Und das Schlimmste von Allem ist, daß ihr eurer Leben verschwendet für den Versuch eines Wahnsinnigen. Ich kann nichts anderes tun, als euch zu beschwören, aufzuhören mit dem, was ihr da tut und euch versichern, daß die Mächte, die ich vertrete, in der Lage sind, euch aus dem was ihr gerade erlebt, herauszuführen und euch entsprechend zu entschädigen, für das was bereits vorgefallen ist.“
„Der Notausgang“, flüsterte Ator neben mir.
„Nö!“, kam laut und vernehmlich von Puppetmaster.
„Genau, nein“, stimmte leon zu.
Auf ein akustisches Signal hin griff die attraktive Lady an ihrem Keyboard vorbei unter den Tisch und zauberte einen Köfferchen hervor. Aufgeklappt stellte sie es auf den Tisch, und die Augen unserer Zauberschleudern wurden groß.
Wenn ich sie richtig verstanden habe, handelte es sich um ein magischen Artefakt einer ähnlichen Stärke, Kraft, was auch immer, wie jenes, das Arleesh für uns vernichtet hatte.
„Das reicht nicht!“, kam von Dust, auch wenn ich Ators Gesichtsausdruck entnehmen konnte, daß er beinahe gewillt war, den Deal anzunehmen.
Bei mir schrillten die Alarmglocken. „In dieser Welt ist nichts umsonst. Warum werden hier offensichtlich haufenweise Nuyen für so ein paar Penner wie uns eingesetzt?“, wollte ich wissen.
„Weil ich hier bin, um euch von eurem Weg abzubringen und ich weiß, daß ihr es nicht einfach so tun werdet. Egal, was ich euch erzähle. Also versuche ich euch etwas zu bieten, was die Entscheidung leichter macht.“
Ich mußte unwillkürlich an die Schlange Kaa aus dem staubigen Papierbuch meiner Großmutter denken. Auch wenn das Bild im Buch natürlich nicht animiert war, hatte ich mich schon als Vierjähriger vor ihren Augen gegruselt, und die Stimme meiner Omi, die es vorlas, hatte dieses … schleimige, hinterhältige. Scheiß Flashbacks, aber der hier paßte wie Arsch auf Eimer.
„Offenbar ist es nicht genug!“, würgte Dust Foreman fast ab.
„Sehen wir der Sache nämlich mal ins Gesicht“, nahm leon den Faden auf, „Daß du, sozusagen, vorbeikommst und uns das Angebot machst, heißt doch nur, daß du Angst hast! Sonst wärst du gar nicht bereit, uns zu bezahlen. Und das heißt, du musst deinem Schicksal ins Gesicht sehen. Wir werden unsere Queste erfüllen und du wirst untergehen!“
Ich bemerkte, daß leon ihre Monofilamentpeitsche in ihre Hand gleiten ließ und wußte, gleich würde es hier tödlich werden. Dennoch war sie nicht schnell genug. Auf ein audiovisuelles Signal in Form eines schreienden Totenkopfes auf dem Tridbildschirm hin zog die adrette Lady einen Ares Predator unter dem Tisch hervor und feuerte zweimal schnell hintereinander auf Ator. Zum Glück trugen wir alle unsere Standardausrüstung, zu der seit langer Zeit auch eine Panzerjacke für unseren Krokomanten gehörte, so daß er mit einer leichten Verletzung davonkam.
Ator reagierte mit einem Betäubungsball, der trotz seiner Verwundung sowohl der Tussi, als auch ihrem Elfenchummer ordentlich zusetzte.
Dust griff nach ihrem Predator und schickte explosive Grüße in Richtung des Elfen. Die beiden Explosivgeschosse beendeten die Karriere des Elfen, bevor sie richtig durchstartete.
Ich bemerkte ein paar Dudes aus dem Barbereich, die sich offenbar unserem Gemetzel anschließen wollten, während leon mit ihrer Mono Fakten bezüglich der jungen Frau schuf.
Ich griff meine geliebte Ares Alpha und schickte einen integrativen Gruß in Form einer HE-Granate in Richtung der Dudes, der mittels ihrer Integration in das Gemetzel eben dieses beendete, da sich niemand mehr anschließen wollte…

Und wir standen wieder auf der Anhöhe, auf der wir in dieser Metabene gestartet waren. Hinter uns die Mauer mit dem Notausgang, vor uns der Weg, der ins Dorf des Architekten führte.
Unsere Ausrüstung war dahin. Im Gegenzug hatten wir wieder die adretten, grob gewebten Kutten mit Kordel am Leib, allerdings auch alle anderen Dinge, die wir im Laufe unserer Queste angesammelt hatten.
„Soviel zum Thema Abkürzung!“, ließ ich die anderen meinen Unmut spüren.
„Heyheyhey, ich hatte meinen Spaß!“, protestierte Dust. „Das war es mir wert.“
„Ich auch! War echt toll!“, stimmte leon zu.
Ich blickte zu Ator, der sich immerhin eine Verletzung zugezogen hatte, aber der reckte mir nur den Daumen entgegen und signalisierte Abmarschbereitschaft.
Was blieb uns auch anderes übrig?
Wir machten uns also auf den Weg, durchquerten das Dorf ein weiteres Mal und begannen schließlich unseren Aufstieg des Turmes.
Wir kletterten fünf Tage relativ sicher, aber doch angestrengt, den Turm hinauf und rasteten mehrmals auf unterschiedlichen Plattformen, die sich hierfür anboten. Auch wenn wir uns sicher waren, uns ständig vom Boden zu entfernen, hatten wir nicht wirklich das Gefühl, uns der Spitze des Turm zu nähern.
Schließlich griff uns, als wir gerade von einer weiteren Rast aufbrechen wollten, eine riesenhafte, krakenartige Gestalt mit vier Augen über einem zahnbewehrten Maul an. Mit seinen zehn pelzigen Tentakeln bewegte es sich zwischen den Streben des Turm schnell und fast lautlos, dennoch überstand es den Manablitz von Ator nicht und löste sich in eine schleimige Masse auf, die durch die Streben des Turmes nach unten abfloß.
Wir kletterten weiter und stellten fest, daß sich das Design des Turmes deutlich änderte. Es schien, als würde es sich dem Stil annähern, in dem 2055 in Seattle gebaut wurde.
Zwei Tage später erreichten wir einen Bereich des Turmes, in dem es so etwas wie Wohnräume zu geben schien. Sie waren verlassen, aber eindeutig errichtet worden, um Leuten Unterschlupf zu gewähren. Wir bewegten uns zur Außenseite des Turmes und stellten fest, daß wir uns bereits in der „Krone“ des baumartigen Turmes befanden. Noch immer waren wir auf keinen der Dorfbewohner gestoßen, sollte es denn überhaupt noch einen von ihnen geben, also kletterten wir weiter.
Drei Tage später erreichten wir die Spitze der „Baumkrone“, ohne einen einzigen Dorfbewohner angetroffen zu haben.
An dicken Seilen hingen hoch über dem Turm riesige Ballons, vielleicht einen Kilometer durchmessend und schienen den Turm mit ihrem Auftrieb zu stabilisieren. Desweiteren sahen wir eine Plattform am höchsten Punkt des Turms, auf die zwei Leitern hinaufführten. Auf dieser stand ein Gebäude, recht klein, etwa nur so 8×8 m, mit nur einer Ebene, und aus ihm führten noch ein paar Kabel hinab auf die Ebene, auf der wir jetzt standen.

Allerdings trübten zunächst zwei verdächtig nach Kampfroboter aussehende mechanische Gestalten, die jeweils an einem Fuß einer Leiter positioniert waren, die heitere Stimmung in dieser luftigen Höhe. Vielleicht lag mein getrübter Eindruck ja daran, daß diese Gestalten zwar irgendwie menschenähnlich aussahen, aber definitiv Knarren statt Händen hatten. Hörte denn dieser Scheiß nie auf? Obendrauf kam eine Kingsize-Version der Boilershirts in Trollgröße dazu, die auf der Plattform vor der Tür des kleinen Gebäudes herumstand. Im Unterschied zu den normgroßen Gestalten folgte der Große eher einer aztekischen Erscheinungsweise, aus der lediglich die für meinen Geschmack etwas zu wuchtig geratenen Dornenkugeln an den Enden der Unterarme, äh, herausstachen, die den Aua-Seiten von Morgensternen abgezwackt schienen. Bislang schienen die drei Dosenmonster nicht von unserer Anwesenheit beeindruckt zu sein, aber wir hatten noch den Wächter im Gedächtnis. Der hatte uns auch gezeigt, wo die Büchse scheppert.

Unschlüssig, wie diese Alu-Hampelmänner agieren würden, erörterten wir verschiedene taktische Vorgehensweisen, die den geringsten Aufwand zum Ziel hatten. Angesichts unserer eher dürftigen Ausrüstung entschieden wir uns für das Modell „massive Gewalt auf einen bestimmten Gegner“, um schnell die Anzahl der aktiven Blechdosen zu verringern. Ich fand den Plan zwar gut, aber kaum hatten wir uns auf Gegner 1 eingespielt und beharkten ihn mit allem, was wir hatten, kam aus der Tür im Gebäude auf der Plattform noch eine dieser Figuren in „nur“ Normgröße herausgelatscht.
Zunächst sah es nicht so aus, als würden die anderen Drahtmarionetten unaufgefordert in den Kampf eingreifen, was nur von Vorteil sein konnte, denn der Mistkerl 1 war echt zäh. Aber ich hatte einen glücklichen Hieb, und endlich, nach viel zu vielen einstelligen Sekunden, fiel das Ding mit Getöse um.
Wir hatten einen besiegt, doch in der Zwischenzeit waren zwei neue erschienen, die nun ins Kampfgeschehen eingriffen. Gewalt schien nicht die Lösung unseres Problems zu sein, auch wenn leon und Puppetmaster dies zunächst nicht einsehen wollten und einen weiteren der Kampfroboter angriffen. Es dauerte viel zu lang, ihn zu besiegen und drei weitere erschienen.
Nachdem wir also zwei der Kampfroboter ausgeschaltet hatten, war ihre Gesamtzahl von anfänglich drei auf nun sechs gestiegen.
„Okay, wir können sie nicht besiegen!“, gab ich meine Einsicht weiter. „Aber vielleicht können wir sie umgehen und ihre Quelle vernichten.“ Ich gab den anderen ein paar Handzeichen, die ihnen meinen Plan vermitteln sollte, ohne daß sonst jemand von unserem Vorhaben Kenntnis erhielt, und tatsächlich gelang es uns, die etwas behäbig agierenden Roboter zu umgehen und in das Gebäude zu gelangen, aus dem bis eben alle paar Sekunden ein weiterer unserer Gegner erschienen war.

Der Raum sah von innen wie ein Bunker aus Stahlbeton aus, mit glatten grauen Wänden und vollgestopft mit einer bizarr wirkenden Maschinerie, die bis unter die Decke des Raumes reichte, an der ein Trideobildschirm angeschlossen war. Nacheinander stolperten wir hinein und fragten uns praktisch sofort, woher all die Roboter gekommen waren, denn hier schien nicht genug Platz zu sein, um sie beherbergt zu haben, und eine weitere Tür, durch die sie in den Raum gelangt sein konnten, gab es ebenfalls nicht.
Wir nahmen den Trideo näher in Augenschein und entdeckten ein antiquarisch wirkendes Elektrodennetz, wie es vielleicht die ersten Decker benutzt hatten.
Matrix in der Metaebene?“, fragte leon sich halblaut selbst.
„Naja, du darfst nicht vergessen, daß hier nichts ist, was es zu sein scheint, sondern immer nur ein Abbild dessen, was wir in unserer Realität kennen. Sonst wären wir hier wohl absolut verloren“, antwortete Ator.
„Als wenn wir das nicht eh sind“, gab Dust ihrer Resignation Ausdruck.
Ich konnte sie irgendwie verstehen. Unsere ganze unsere Essenz vernichtende Cyberware brachte uns hier gar nichts. Unsere Waffen waren wenig mehr wert als ein Steinkeil, mit dem ein Höhlenmensch sich gegen einen Säbelzahntiger zur Wehr setzte, und selbst auf die Magie war hier kein Verlass.
„Alles klar! Dann ist das hier doch wohl ganz eindeutig ein Übergang in eine andere Welt“, äußerte Puppetmaster und machte einen Schritt in Richtung des Elektrodennetzes. „Und bevor wir jetzt wieder ewig rumrätseln, werd‘ ich mal die Initiative ergreifen.“
Ehe ihn einer von uns daran hindern konnte, stülpte er sich das Netz über den Kopf und …verschwand in einem hellen Leuchten.
„Labyrinth aktiv“ erschien auf dem Trideo, darunter stand „Puppetmaster“ und ein Countdown, der von fünf Minuten herunter zählte.
„WTF!“, entfuhr es mir. „Wo ist der hin?“
„Hab‘ ich doch gerade erklärt“, antwortete Ator etwas gelangweilt und zog sich das Trodennetz über den Kopf.
„Bist du irre?“ Meine Worte erreichten ihn wohl nicht mehr, denn er hatte bereits den Raum auf dem gleichen Weg verlassen wie Puppetmaster vor ihm. Auf dem Trid erschien unter „Puppetmaster“ nun „Ator Gilla“, während der Countdown weiterratterte.
„Scheint ja kein anderer Weg aus diesem Loch raus zu führen“, kommentierte leon, während sie sich nun ebenfalls die Troden über den Kopf stülpte, um auf gleiche Art und Weise aus dem Raum zu verschwinden.
Ich starrte die verbliebene Dust einige Sekunden fassunglos an, dann zuckten wir beide nur mit den Schultern und nutzten ebenfalls das Elektrodennetz, um dem Stahlbetonbunker zu entkommen.

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