Es werde Licht, Folge 3: Präludium

Stimme 1: „Na schau mal einer an. Rückkoppelung hier bei 2724, und die Dämpfung setzt dann schon bei 2981 ein. Das ist völlig im grünen Bereich.“

Stimme 2: „Ach das … na ja. Ich habe eher Sorgen, daß der globale WP-Decay zu steil ist. Es muß nur einmal der initiale F6 zu hoch sein, dann fängt das kein Kompensator mehr ab. Und wenn E2 erstmal draußen ist, fällt sofort E1 und E4 flach, und…“

Stimme 1 (unterbricht): „Hey, hey … locker bleiben. Regel 1 nicht vergessen. Und das hier ist alles noch Prä-Phase. Trotzdem ist der Dämpfer bei E2 schon richtig schnell. Ein wenig mehr Vertrauen in unser Zugpferd, bitte.“

Stimme 2: „Ich mag mich mit ihrem übergroßen Vertrauen in die Technik nicht so richtig anfreunden. Wie wärs mit einem Plan B?“

Stimme 1: „Pläne „B“ sind was für Zweifler. Nach Ihnen, Herr Kollege.“

Stimme 2 (schulterzuckend): „Meinetwegen.“

[Klick]

… aber eine kleine Ecke im Raum blieb schwarz…

Mit krachendem Lärm stießen die beiden natürlich aus Kunststoff bestehenden Steingutkrüge zusammen. “ Auf den Dienstagabend, Kümmerling“, brüllte Jebo, der Troll, dem im Verhältnis winzigen Kurt zu.
„Ja, Mann. Prost!“ Kurt verzog kurz das Gesicht, als sein Handgelenk energisch gegen den Schlag mit dem Bierkrug protestierte. „Pass aba uff, dasse nich glei‘ untam Tresen hängst, Dicka.“ Jebo gluckste. Er wollte nicht glauben, daß eine Viertelportion wie „Icke“, wie ihn hier alle nannten, ihn ernsthaft unter den Tisch trinken könnte, selbst wenn man bedachte, daß die Trollhumpen um einiges größer waren als die für die normgroße Bevölkerung. Beide nahmen synchron einen Schluck aus ihre jeweiligen Trinkgefäßen und setzten die Gefäße dann geräuschvoll ab. Direkt danach ließ Kurt einen Rülpser los, der so beeindruckend war, daß sich einige Gäste der Kneipe spontan umdrehten und den Troll fixierten. „Jebo!“, beschwerte sich Kurt sogleich. „Mußte denn imma wie’n Proll rumprolln?“ Jebo konnte es kaum fassen. Jeder hier schien zu glauben, daß er der Urheber dieses Getöses gewesen war. Als er vorwurfsvoll zu Kurt hinabblickte, schien dieser sich kaum beherrschen zu können, nicht laut lachend herauszuplatzen.
Jebo seufzte. Er beschloß, sich in sein Schicksal als Vorgeführter zu ergeben. Gerade als er ansetzte, um seine Niederlage zu akzeptieren, machte sich sein Kommlink bemerkbar. Er schmulte aufs Display und las:
„heute abend 2200 Gneisenaustraße, alter U-Bahnschacht zwischen Schleiermacher- und Mittenwalder Str. Einstieg auf dem Mittelstreifen. Denke, das wär was für dich. E.“

„Äh, Icke …“, brummte er deshalb, das andere Thema schlagartig vergessend, „hast du heute abend schon was vor?“

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Als sich die schwere Tür hinter ihr schloß, atmete Hamide schwer durch. Die verschiedenen Schalldämpfer, die sie erworben hatte, hatten eine unangenehm hohe Summe von ihrem Credstick entfernt. Nichtsdestoweniger war sie sich sicher, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Nicht überall konnte man so sorglos mit großen Plempen hantieren wie in den ihr vertrauten Gebieten Berlins. Und obwohl eher darauf ausgelegt, mit groben Mitteln Situationen zu bereinigen, war ihr klar, daß Heimlichkeit und Stille bisweilen besser zu funktionieren schienen als großkalibrige Schnellfeuerwaffen. Nun gut. Es sollte ihr niemand nachsagen können, daß sie es nicht zumindest versucht hätte.
Sie schwang sich auf ihre Mirage und gab Gas. Nur weg hier, bevor mir ausgerechnet noch … sie wischte den Gedanken beiseite und konzentrierte sich auf die Straße. Dadurch entging ihr die Meldung, die auf ihrem Kommlink einging, da das Gerät die Nachricht wegen des eingeschalteten „Nur Fahren“-Modus nicht an den Helm der Fahrerin weitergab.

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Pierosch sah sich in dem Taliskrämerladen um. Gut sortiert war er ja. Er beschloß, sich den Laden zu merken, falls er sich noch häufiger mit Spezialitäten ausrüsten müßte. Der Ruf des Ladeninhabers brachte ihn wieder gedanklich zurück zum Grund seines Hierseins.
„Hier hab ichs, ja. Wie hättste ihn denn gern, Chummer: als Chip oder richtig oldschool auf Papier? Garantiert säurefrei. Kostet dann aber ’n bisken mehr…“

Er überlegte kurz. Papier war schick, brannte aber gut und war dann flöten, und er würde das Dokument ja auch nur so lange brauchen, bis er den Spruch intus hatte. „Nee, gib mir ’nen Chip“, antwortete er daher. Er überwies den Kaufpreis für den Zauberspruch an das Kassenterminal, nahm die kleine Chipbox an sich, tippte grüßend an seinen Hut und verließ zufrieden das kleine Geschäft. Draußen erwartete ihn schon Gunter. Der schien etwas zappelig. Pierosch holte Luft, um nachzufragen, was los sei, da brach es schon aus dem Jugendlichen hervor. „Hey, cool, daß du wieder da bist. Jebo und Icke haben einen Job in Aussicht. Das wird der Hammer.“ Während Gunter sprach, bewegte er einige Körperteile unaufhörlich in alle möglichen Richtungen, als ob er wieder einmal ein deutlich zu großzügig dimensioniertes Amphetaminzäpfchen eingesteckt hätte.
„Mal langsam, Kleiner“, erwiderte Pierosch etwas verärgert. „Wer bitte?“ Gunter stutzte, dann wurden seine Augen groß. „Ach ja, die kennst du ja gar nicht. Ich hab mit denen schon mal, weißt schon, *gearbeitet*. Coole Hoschis. Na ja, jedenfalls haben wir einen Treffpunkt mit ’nem Schmidt heute abend. Na, brauchste was aufn Ebbie, hä? Komm schon, das wird cool.“
Pierosch dachte nach. In der Tat waren seine Finanzmittel etwas geschrumpft. Der soeben erworbene Betäubungsbolzen-Zauber hatte diese an sich schon wenig angenehme Situation noch einmal verschärft.
„Na gut, Kleiner. Ansehen kann ich mir das Angebot ja mal. Wann und wo?“

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21:50 Uhr. Gu und Pierosch hatten gerade das sich nähernde ungleiche Paar, bestehend aus Jebo und Icke abgefangen. So standen sie zu viert zwischen den Baumstümpfen, die alles waren, was von den vielen alten einst die überbreite Allee mit dem Namen eines preußischen Generals begrünenden Bäumen übriggeblieben war, und Gu, wie üblich ungeduldig, drängte schon zum Aufbruch. „Locker bleiben, Gnömchen“, ließ Jebo sich vernehmen. „Wir sind noch nicht vollzählig.“ Drei Augenpaare wandten sich ihm fragend zu. „Wasn?“, fragte der Troll trotzig zurück. „Savatchi hatte doch bei der Sache mit dem Gras einen kompetenten Eindruck gemacht. Ich hab sie heute nachmittag nochmal angepiept. Und wenn sie will, kann sie ja dabeisein.“
Er hatte kaum geendet, als auf der Richtung Südstern führenden Spur ein Motorrad vorbeifuhr, plötzlich bremste und Lichtzeichen gab. Danach steuerte der Fahrer die Suzuki Mirage fünfzig Meter weiter auf den Bürgersteig und stellte die Maschine ab. Ohne den Helm abzusetzen, näherte er sich der Gruppe, um kurz vor dem Zusammentreffen mit dem Trupp das Visier hochzuklappen.
„Soso, da sind ja einige bekannte Gesichter versammelt“, erklang Hamides kratzige Stimme. „Sorry, Jebo, daß ich nicht geantwortet hab. Ich hatte die Nachricht erst vor einer Stunde gesehen. Habt ihr etwa auf mich gewartet?“
„Heeey, Savatchi, große Kriegerin“, krähte Gu los. „Wie geeehts?“
Die Angesprochene verzog das Gesicht. „Kannste mal vielleicht vierzig dB leiser, Alter? Warum mieteste nich gleich ’ne Werbetafel für unser kleines Treffen?“ Sie schien wirklich unzufrieden mit dem Umstand, daß Gu laut ihren Namen herausgebrüllt hatte. Ihren Ärger in den Hintergrund drängend, fuhr sie fort: „Und an die anderen: Hi. Witzig, wie klein doch dieses Dorf ist. Wolln wir dann?“
Jebo ging vor und hob an der angegebenen Stelle das Lüftungsgitter des alten U-Bahn-Schachtes an. Eine Verbeugung andeutend, näselte er im Tonfall einer Zugansage „Bitte einsteigen. Vorsicht an der Bahnsteigkante.“ Die anderen vier wieselten in die Dunkelheit hinab, bevor er als Schlußlicht das Gitter wieder über sich schloß.

Unten war es wieder Gunter, der zuerst sprach. „Und jetzt?“
Es gab eine kleine Pause von wenigen Sekunden, in denen jeder der anderen überlegte, wie eine Antwort zu formulieren sei, die dem Jungen klarmachen könnte, daß Geduld schon damit anfängt, daß man nicht pausenlos dahersabbelt, aber es antwortete eine völlig andere Stimme: „Und jetzt taucht jemand auf, der einen Job zu vergeben hat. Überraschung?“ Gleichzeitig flackerte eine infrarote Lichtquelle auf, in der die Runner einen Ork erkennen konnten, der schon schönere Tage erlebt haben mußte. Jebo ergriff schnell das Wort, bevor Gunter weiterschwatzen konnte. „Ja hi, ich bin Jebo. Ich hab den Tip von Emir, und ich hab gleich ’ne Crew mitgebracht. Worum gehts denn genau?“
Der Untergrund-Ork nickte. „Emir. Alles klar, soll mir recht sein.
Der Deal ist der:
es gibt da einen gewissen Simeon Werth, Magiedozent an der TFU Berlin. Er hat seinen Wohnsitz in Köpenick. Schickes Seegrundstück am Müggelseedamm. Am kommenden Wochenende wird er zuhause eine kleine Festivität ausrichten, und er wird Gäste haben. Diese … Party wird offenbar sehr exklusiv sein. So exklusiv, daß sogar das Personal für diesen Abend nach hause geschickt wird.
Bevor ich jetzt weiterspreche, wüßte ich gerne, ob ihr an Bord seid. Also?“
Die Angesprochenen machten ein paar vage Handbewegungen, stimmten dann aber zu.
Der heruntergekommene Ork nickte. „Okay, wir haben ein 5-Mann-Team für eine Extraktion. Schön. Erwähnter Herr Werth bekommt also eine Eskorte – euch – zu einem bestimmten Ort. Herr Werth wird möglicherweise mit euch uneins über diese kleine Reise sein, aber ihr werdet ihn überzeugen, mitzukommen. Dafür gibt es für euch eine kleine Aufwandsentschädigung. Die da wäre 150k insgesamt, allerdings nur dann, wenn der Herr das Ziel unversehrt, und ich meine wirklich extrem mega-unversehrt, erreicht. Ich darf einen Vorschuß in Höhe von 5000 rausrücken, aber mehr gibts erst bei Auftragserfüllung. Ach ja, und noch ein paar Detaildaten.“ Er hielt einen Chip hoch, und Jebo streckte die Hand aus. Der Ork ließ den Chip in Jebos Handfläche fallen und packte noch einen Credstick dazu. „Schön. Dann gutes Gelingen, die Herren.“ Mit diesen Worten verabschiedete er sich und stapfte durch den Tunnel in östlicher Richtung davon.

Nachdem er dem Ork noch ein paar Sekunden nachgesehen hatte, ergriff Jebo wieder das Wort: „Okay, Leute, ab nach oben. Laßt mich vorgehen. Dann setzen wir uns erstmal ins T1 und beraten uns.“ Er drängelte sich zwischen den anderen Runnern hindurch und kletterte behende die Leiter zum Lüftungsgitter hoch. Als er es nach oben drückte, sah er zuerst einen Haufen Militärstiefel und hörte dann eine laute, befehlsgewohnte Stimme, die ihn anherrschte:
„Komm’se mal raus, Bürger! Und keine voreiligen Bewegungen.“ Er ließ sofort Chip und Credstick fallen, gab den unten Wartenden das altbekannte Handzeichen für „Verschwindet!“ und kletterte langsam und umständlich aus dem Schacht, wobei er den Gitterdeckel sofort hinter sich wieder zufallen ließ.
Gunter hatte die fallenden Gegenstände gesehen und sammelte sie, sobald Jebo das Gitter fallenließ, blitzschnell auf. Dann verzogen sich die übrigen vier in den Tunnel, um nicht von allzu neugierigem Sicherheitspersonal aufgespürt zu werden. Nach etwa 20 Minuten beschlossen sie, daß nun die Luft rein wäre und versuchten einen erneuten Ausbruch. Diesmal wartete nur die Berliner Nachtluft auf sie.

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Mittwoch:
gegen Mittag trudelten sie nacheinander im „Treffpunkt 1“ genannten Café ein. Die Runner hatten sich darauf verständigt, ihre Treffpunkte nicht mehr mit Namen zu nennen, um eventuellen Zuhörern keine Gelegenheit zu geben, ihre Versammlungen an interessierte Gegner weiterzutratschen. So bedeutete „T1“ schlicht, daß man sich im bereits bekannten „PowWow“ treffen würde.
Hamide, die wegen ihres etwas längeren Anfahrtsweges als letzte eintrudelte, bekam ein mulmiges Gefühl, als sie bemerkte, daß Jebo nicht anwesend war.
„Tach“, grummelte sie, schlechte Nachrichten erwartend. „Was isn mit dem Dicken?“ Dabei sah sie in Kurts Richtung, weil sie vermutete, daß jener aufgrund der neu geknüpften Saufkumpelschaft zu dem riesigen Balkan-Troll die genauesten Informationen hätte.
Der konnte aber nur bedauernd die Schultern heben. „Keene Ahnung“, murmelte „Icke“ entschuldigend. „Ick würd ja ooch denkn, dassa ersma‘ ’n Spruch macht, wenner die SS vom Hals hat. Aba von die annan hat ooch keena wat jehört.“ Zur Bekräftigung schüttelten Pierosch und Gunter verneinend die Köpfe.
Hamide murmelte einen türkischen Fluch und straffte sich dann. „Schön. Jetzt haben wir den Salat. Wenn Jebo noch eine Weile festsitzt, können wir den Run möglicherweise vergessen. Das heißt, wir müssen uns erstmal einen Überblick verschaffen, was uns erwartet. Und das ziemlich schnell, damit wir noch frühzeitig absagen können. Was können wir tun?“

Kurt meldete sich zuerst zu Wort. „Na ja“, begann er. „Ick könnte als erstet mal ’n kleen‘ Astralcheck von dit Jelände machen, wa. Da könntick ooch schonma‘ kiekn, wat da allet an Astralpaua von wejen Abwehr und so am Start is‘. So wie ick dit mitjekricht hab, is der Mista X ja eena vonne magische Frakzion, und da kamma schomma uff die Idee komm‘, daß der ’n paar spezielle Freunde im Jartn hat, die jarantiert nich‘ unsere Freunde wer’n, wenn wa da einreitn. Denkta nich?“
Alle nickten zustimmend. „Wenn wir überhaupt reinkommen“, warf Pierosch ein, „müssen wir unsere Ware auch abtransportieren. Mit unseren eigenen Fahrzeugen -“ „die wir nicht mal in passender Größe haben“; unterbrach ihn Gunter, der sich unter Pieroschs plötzlich Todesqualen versprechendem Blick sogleich duckte und beschwichtigend die Hände hob, wobei er ein leises „jaja, okayokay, bin ja schon ruhig“ herausdrückte, „…mit unseren eigenen Fahrzeugen also“, fuhr Pierosch langsam und deutlich fort, wobei er unverwandt Gunter anstarrte, „sollten wir sowas nicht veranstalten, da die betreffende Karre nach der Aktion aber sowas von gesucht werden wird, daß es nur so raucht. Woher bekommen wir so eine Art Lieferwagen?“
„Äh“, machte Gunter und hob fragend die Hand, sprach dann aber weiter, als ihn die anderen ansahen, „ich hätte da jemanden ,der auch, äh, „gebrauchte“ Fahrzeuge aller Art verteilt und annimmt. Ich könnte den ja mal fragen, ob er etwas in der ‚Laderaum-für 5-Personen‘-Klasse bis Freitag abend heranschaffen kann. Soll ich?“ Fast gleichzeitig antworteten die drei anderen „Auf jeden Fall!“

„Icke“, wandte sich Hamide an Kurt, „weißt du, wo du hinmußt? Is doch mit der Orientierung nicht so einfach im Astralraum. Weiß ich aus meiner Lieblingsserie „Arcane Vertigo“ mit diesem spanischen Schauspieler…“ fügte sie beifallheischend hinzu, als Kurt sie skeptisch ansah.
„Äääähm… Madamme“, erwiderte der gedehnt und mit einer gewissen Portion Ärger in der Stimme, „sei ma mal nich saua, aba ick krig dit schon hin, wa. Jib ma ’ne halbe Stunde Zeit, die jenaue Adresse und ’n Stadtplan, und dann wird dit Kind jeschaukelt. Dankeschön.“
Tatsächlich konnte der Barkeeper auf Anfrage mit einem etwas in die Jahre gekommenen Stadtplan aushelfen, den Kurt sogleich intensiv studierte.

Zwanzig Minuten später meldete er sich zurück. „Ick wär dann soweit. Paßt uff meen‘ schäbijen Kadava uff, den brauch ick noch.“ Sprachs und sackte auf seiner Sitzfläche zusammen. Die anderen blickten ein wenig ratlos in die Runde. Gunter sprang von seinem Sitz, nuschelte „ich geh dann mal kurz telefonieren wegen der Karre“ und verließ die Bar. Pierosch und Hamide bemühten sich, Kurts leblosen Körper etwas bequemer zu positionieren und wußten ansonsten nicht so richtig etwas mit sich anzufangen. So saßen sie kaum zwei Minuten einander gegenüber, als sich die Eingangstür öffnete und etwas großes, das die Türöffnung komplett verdunkelte, sich in den Laden zwängte. Pieroschs Gesicht hellte sich auf, als er das Gebirge erkannte. „Ey, das is Jebo“, staunte er und winkte wild in Richtung des Trolls.
Jebo sah sich kurz in der Bar um und bemerkte dann Pierosch und dessen Winkerei. Sofort steuerte er die Sitzgruppe an, in der sich die Runner zusammengedrängt hatten. Statt einer Begrüßung krächzte er „Was is mit Icke?“ und ließ sich vorsichtig auf einem Hocker nieder, der so aussah, als würde höchstens ein Ork darauf Platz nehmen dürfen. „Und wo ist der kleine Krähgeist Gu?“ setzte er nach.
Pierosch und Hamide begannen gleichzeitig, etwas zu erzählen, und Jebo hielt sich stöhnend die Ohren zu, worauf beide verblüfft stoppten. Mißtrauisch geworden, hakte Hamide nach: „Was is los, Großer? Alles in Ordnung?“
Der Troll drehte ihr den Kopf zu und ließ sie sein malträtiertes Gesicht sehen. „Wird schon wieder“, flüsterte er fast. „Die SK-Arschlöcher konnten mir keine direkte Straftat nachweisen, aber sie wollten zumindest ein wenig Abwechslung. Normalerweise hätt ich mich ja gewehrt, aber das können wir uns gerade nicht leisten. Hat einer ’ne Kopfschmerztablette? Und dann nochmal vorsichtig: was macht Icke da und wo ist Gu?“

„Die zweite Frage kann ich sofort beantworten“, ertönte hinter seinem Rücken eine jugendliche Stimme. „Gu ist hier, und auch Gu freut sich, daß Jebo wieder da ist. Naa, alles klar?“ Jebo zog erneut eine Grimasse des Schmerzes, so daß Pierosch sich genötigt sah, ein Wort zu verlieren.
„Mann, Kleiner, kreisch doch mal nicht immer so rum. Halbe Lautstärke tut’s auch, okay?“
Als Gunter sich wieder setzte, konnte auch er jetzt sehen, daß dem Troll übel mitgespielt worden war. Betroffen flüsterte er „Ach du Scheiße … sorry.“
Hamide nahm ihre Chance wahr, auf Jebos erste Frage zu antworten. „Was Icke angeht: alles in Ordnung. Der Herr macht gerade einen Erkundungsausflug zu unserem Ziel. Wir befürchten, daß ein Magieprof zuhause möglicherweise ein paar magische Sicherungsmaßnahmen eingerichtet hat, und dachten, es wäre ganz nett, das alles nicht erst zu erfahren, wenn wir bei ihm übern Gartenzaun springen. Er müßte bald wieder online sein.“
„Und ich“ begann Gunter, der nach den ersten lauten Worten hastig die Stimme senkte, „war nur kurz draußen, um für Samstag einen Lieferwagen zu besorgen. Wir brauchen doch Platz, um jemanden zu transportieren. Und wir haben einen Wagen in Aussicht. Kann ich morgen abend abholen.“
Jebo nickte langsam. „Sehr gut. Magische Sicherheit. Pierosch, da wird was für dich zu tun sein. Fühlst du dich fit?“
Der Adept grinste. „Wie’n Turnschuh, Dicka. Solange du nicht von mir verlangst, daß ich einen umbringen soll, ist alles grün.“
„Nee“, erwiderte Jebo und schüttelte den Kopf. Sein Nacken machte ihm augenblicklich klar, daß das keine schlaue Idee gewesen war. Stöhnend stützte er seinen geschundenen Schädel in seinen riesigen Pranken.

Gunter schlüpfte vom Sitz und kam nach einer Minute zurück, in seinen Händen einen Becher sprudelnde Flüssigkeit haltend. „Hier, Mann“, flüsterte er. „Kopfwehwegmach-Zaubertrank, Trollgröße.“ Dankbar griff Jebo nach dem Becher und leerte ihn auf Ex.
„Dit jibs do‘ nich“, ertönte plötzlich eine vertraute Stimme, die mit Empörung nicht sparte. Kurt hatte sich unerwartet aufgerichtet und stemmte nun die Fäuste in die Seiten. „Da is man ma‘ eene Minute untawegs, und der Dicke fängt alleene mit dit Saufn an. Kannste vielleicht ma uff’n alten Mann warten oda wat?“
Jebo hob abwehrend die Hand, die nicht den Becher hielt. „Bitte, Gnömchen, mach leise. Mein Schädel dröhnt noch.“ Als er die Becherhand sinken ließ, konnte Kurt den Grund für Jebos Ersuchen überdeutlich sehen. „Wat zum…“ begann er, dann plötzlich innehaltend und in eine kurze Starre verfallend.
Nach einer Sekunde bewegte er sich wieder. Mit leiserer Stimme fuhr er fort: „Deine Aura is auch janz schön zerbeult, Mista. Welchet Arschjesicht war dit? Der will wohl umbedingt ’n Spezialfisting, made by Icke oda wie?“ Als der Troll abwinkte, besann Kurt sich auf die eingeholten Informationen, die er eigentlich weitergeben wollte.

„Na jut“, begann er den Report, „vaschiem wa ditte uff späta. Aba uffjeschohm is nich uffjehohm, klaro?“ Nach einem Seufzer fuhr er fort:
„Okeh, zum Thema. Ick war also da am Müggelsee, und dit Areal is nich zu übasehn. Besondas unanjenehm uffjefalln sind ma zuerst die be’en Luftelementare, die da Patrullje flattern. Die mußt‘ ick ersma umjehn, wat nich janz so einfach war. Dann“, er machte eine dramatische Pause und blickte theatralisch in die Runde, „hat der werte Herr janz offenbar een Fehbl für alte oda uff alt jemachte Jartenarrangschemangs. Mit olle Statuen vonne Griechen oda so. Hähä… aba nich mit Papi, wa. Die sind allesamt, also alle vier, volljepumpt mit Mana. Könnten also Homunkulusse oder ähnlichet sein. Und dann, für die anderen Jelejenheiten, die nüscht mitte Majie zu tun ham, sind da noch so andere Heinzis uffm Jelände…“
„Mit Kanonen, als weltliche Abwehrmaßnahme“, platzte Gunter heraus, der es offenbar nicht fertigbrachte, ruhig zu sitzen und nur zuzuhören.
„Jenau“, nickte Kurt. „Alladinks weeß ick natürlich nich, ob die sechse zu dit Personal jehören, wat sich am Samstach Ahmd verflümt oda ob die dableim. Wir sollten also im Kopp behalten, daß wa die Leute schnell und gleichzeitich schlafenlegen müssen, damit die nich noch telefoniern jehn.“

Die anderen nickten zustimmend. Jebo hatte allerdings noch eine andere Idee. „Wir könnten doch angemeldet rein. Was wäre denn mit … was weiß ich … äh, zum Beispiel mit der Klassiker-Variante ‚Pizza-Bringdienst‘?“ Die übrigen Runner lachten herzhaft über den gelungenen Witz. Der Troll schaute etwas verwirrt drein. „Was denn?“, stammelte er.
„Alter“, schnaufte Pierosch amüsiert und versuchte, dem Troll auf die in unangenehmer Höhe angebrachte Schulter zu klopfen. „Eine Pizzalieferung mit fünf Schwerbewaffneten?“ Er kicherte erneut. „Keiner von uns könnte auch nur eine halbe Sekunde glaubwürdig einen Pizzaboten spielen mit soviel Magic oder Cyberware, wie hier bei uns aus allen Körperöffnungen hängt. Das würde jeder Vollpfosten merken, und der Typ, den wir besuchen, ist mit Sicherheit nicht mal ein Halbpfosten.“

Jebo sah sich um. Gunter wischte sich gerade eine Lachträne aus dem Auge, Kurt sah ihn nur fassungslos und kopfschüttelnd an, und Hamide verbarg ihr Gesicht in den Händen, wobei ihr Oberkörper verräterisch zuckte. Schließlich tauchte sie wieder auf, grinste übers ganze Gesicht und hechelte „Geile Nummer, Chummer. Hast du heute ’nen Komiker verhauen?“
Um seine Ehre zu retten, versuchte Jebo, seinen Spruch in eine absichtliche Einlage umzumünzen. „Schön, jetzt seid ihr wenigstens wieder gut drauf. Hat doch funktioniert. Was mir allerdings Sorgen macht“, er runzelte hierbei seine mächtige mit Horn verstärkte Stirn, „ist der Haufen an magischer Abwehrkraft. Das gefällt mir nicht, und ich hätte gern noch jemanden dabei, der euch beide…“, er deutete dabei auf Pierosch und Kurt, „ein wenig unterstützen kann. Okay, das schmälert unseren Gewinn, ich weiß, aber“, er hob den Zeigefinger, um den aufkommenden Protest zu bremsen, „ich glaube, keiner hier hat Lust, mit weniger Chummern rauszukriechen, als er mit reingenommen hat. Vor allem, weil wir dann wahrscheinlich auch den Job nicht geschafft haben werden. Und sein wir mal ehrlich: das is ’ne große Nummer. Größer als so’n paar Horden-Penner oder ein Sack Gras. Bitte seid vernünftig, okay?“

Als erste schlug sich die Orkfrau auf Jebos Seite. „Ich denke, der Dicke hat recht. Stolz kann genauso von hinten kommen wie eine Salve. Hast du einen, den du für fit genug hältst?“
Der Troll zeigte seine Hauer. „Klar, sonst hätt ich nicht so schnell was gesagt.“ Er schaute in die Runde und bemerkte Kurts beste beleidigte Schmollschnute. „Och Icke, jetz‘ mach mal nich so’n Gesicht. Du bist der Geilste, das weiß ich. Aber ich will, daß ich das am Sonntag auch noch genauso sagen kann, ohne das Wort „war“ benutzen zu müssen, okay? Du hast selber gesagt, daß schon die Luftwächter nicht ohne waren. Wenn wir schon zwei Fronten haben, dann will ich auch Manpower für zwei Fronten dabei haben. Außerdem denke ich, daß ihr mit Chroni gut auskommen werdet. Der is so einer wie Pierosch, aber“, er schaute nun entschuldigend zu dem angesprochenen Adepten, „deutlich offensiver. Und das können wir hier gut gebrauchen. Laßt mich ihn kurz anrufen, okay?“
Nachdem alle mehr oder weniger zögernd genickt hatten, griff Jebo nach seinem Kom.

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Donnerstag:
Hamide wurde unruhig. Gunter war 15 Minuten überfällig. Er hatte versprochen, um 20:00 mit dem Lieferwagen am Treffpunkt zu erscheinen, um die anderen Mitglieder des Teams einzusammeln, damit sie sich das Grundstück am Müggelseedamm mal aus der Nähe würden ansehen können. Sie kickte ein Bruchstück eines Ziegelsteins davon, das aus dem ruinösen Rest des Hauses herausgefallen war und stützte sich auf den vormals zu einer Fensterhöhle gehörenden Mauerrest vor ihr. Die Runner wußten, daß in diesem verfallenen und einsturzgefährdeten Gebäude niemand wohnte und hatten es daher für einen guten Gedanken gehalten, hier auf den Wagen zu warten. Doch das einzige Fahrzeug in annähernd der gesuchten Größe, das sich gerade durch die Straßen des Kiezes drängelte, war ein matt-hellrosafarbener Alptraum von VW. Ihr ungutes Gefühl wuchs, als sie bemerkte, daß der VW nun deutlich Kurs auf ihren Aufenthaltsort nahm. Bitte, bitte laß das nicht wahr sein, flehte sie stumm. Pierosch, der sich nun neben sie stellte, zog eine Augenbraue hoch. „Nich wahr, oder?“, brummte er. Mit einer Hand winkte er die anderen herbei. Kurt war zuerst an der nebenliegenden Fensteröffnung. Dessen überraschtes Husten sprach Bände. „Is‘ der Kolleje noch janz sauba?“ Ihm schien irgendetwas an dem Gefährt nicht so recht zu gefallen. „Jebo, dit gloobste nich. Kiek dir dit an…“

Jebo, der die Ausschauhalterei den schmächtigeren Kollegen überlassen hatte, trat nun neben Kurt, wobei er nicht wirklich wußte, wieviel Ärger er befürchten mußte. Als er den dann-doch-nicht-gar-allzusehr-unauffälligen Lieferwagen erblickte, der gerade vor der Ruine anhielt, entrang sich seiner Trollkehle ein für seine Verhältnisse leises Stöhnen. „Oh nein .. was ist DAS denn???“ Fassungslos packte er seine Hörner, als wolle er sich selbst den Kopf vom Hals drehen. Währenddessen sprang draußen gerade Gunter aus dem Wagen, der seine Mitstreiter schon gesehen hatte und kurz winkte, bevor er ins Halbdunkel der Ruine eintauchte.
Als er die nicht gerade begeisterten Mienen der anderen bemerkte, blieb er stehen. „Hey, was guckt ihr denn so?“, wunderte sich der Ki-Adept. „Technisch ist der Wagen tiptop.“
Kurt starrte ihn nur an, während Pierosch ihn zögernd fragte: „Ähm, hast du schon mal was von so ’nem Adjektiv wie ‚unauffällig‘ gehört?“
„Oder“, ergänzte Hamide, „von einem, das ‚häßlich‘ heißt?“
„Ja“, schob Jebo nach. „Wäre von Vorteil. Allerdings wird der Wagen nach der Aktion eh warmverschrottet. Von daher muß ich Gu zumindest soweit recht geben, daß der technische Zustand der Karre deutlich wichtiger ist.“
„Genau“, setzte Gunter an. „Und…“ – „Und für diesn Pickel haste im Ernst zehn Ernies hinjeblättert?“, unterbrach ihn Kurt. „Ick will ja keen Asi sein, wa, aba eijentlich müßt‘ ick meen‘ Anteil von diese traurije Entschuldjung von een Auto zurückfordern, Altah. Dieset Mal willick nich so sein, wa, aber nochmal kommste damit nich uffn Ast. Ick will janich wissn, wat sich Jebos Kumpel fürn Bild von mir macht, wennick da in so’ne Schwuchtelschüssel anjejuckelt komme…“
Hamide grinste. „Wenn du so scharf drauf bist, darfst du das Teil gerne nach Abschluß der Aktion selber abfackeln.“ Kichernd fuhr sie fort: „Und wenns dich tröstet: ICH halte dich nicht nur deswegen für unmännlich-schwul, weil du in einem häßlichen rosa Auto durch die Botanik fährst.“

Mit todernstem Gesicht beobachtete sie Kurt einige Sekunden, wie er versuchte, an dieser Aussage etwas zu finden, worauf er empört reagieren konnte. Seine Vorstellung von einem brennenden rosa Lieferwagen vereitelte jedoch die intensive Beschäftigung mit Hamides Bewertung.
„Okay, ihr Witzbolde“, unterbrach Jebo den Schlagabtausch. „Laßt uns erstmal arbeiten. Je früher wir am Zielort sind und uns live umsehen können, desto früher sind wir aus der Kiste wieder raus. Und jetzt fahren wir erstmal Chronist abholen. Noch Fragen? Keine? Gut. Abmarsch.“

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„Im Ernst? ‚Technisch tiptop‘ hat er gesagt?“ Der Elf schüttelte sich vor Lachen. „Ja“, rief Hamide vom Fahrersitz aus dazwischen. Und du hättest sein Gesicht sehen sollen… als hätte er sagen wollen ‚Rosa ist das neue Schwarz, meine Lieben’…bruahah“.
Die meisten anderen Insassen des Lieferwagens stimmten in das Gelächter ein. Nur Gunter fühlte sich ungerecht behandelt. Dabei hatte er, zumindest was den technischen Zustand des VW anging, völlig recht gehabt. Das mußte Hamide zugeben. Und das war ohne Zweifel das wichtigste.
Der schlanke junge Mann mit den spitzen Ohren, der ihnen von Jebo als „Chronist“ vorgestellt worden war, fuhr mit seiner Schilderung fort. „Und als ich dann dieses Ding sah, dachte ich, ’nee, soo scheiße denkt nicht mal der Jugo‘. Ich dachte, mich tritt ’n Pferd, als er dann doch aus dem Ding rausguckte und mich ranwinkte.“
„Damit bist du aber so gar nicht allein“, bestätigte ihn Pierosch. „Ich wollts auch nicht glauben, und Icke wollte schon seinen Anteil zurück.“ Der Erwähnte nahm das zum Anlaß, noch einmal eine nachdrückliche Ansage zu machen. „Meistah“, grollte er, während er mit einem Finger auf Gunter zielte, „dit neeste Mal, wennde ’ne Karre orderst, sachste dazu, daßde uff jehn Fall wat dunklet willst, klaro?“ Er schnaufte kurz. „Altah, wenn dit meen Vadda wüßte. Icke inner Schwuchtelschüssel. Ey, icksachda, wennick deinetwejen inne Hölle komme, dann jibs aba wat hinter die Löffel, Kolleje.“
Unvermittelt drehte sich Jebo auf dem Beifahrersitz nach hinten. „So, wir nähern uns dem Zielgebiet, meine Herren. Jetzt Augen und sonstiges auf, wenn wir an dem Anwesen vorbeifahren. Aufzeichner alle startbereit?“ Er wartete die Klarmeldungen nicht ab, sondern richtete den Blick wieder nach vorne, um mit Hamide zu besprechen, welcher Kurs sie möglichst unauffällig ein paar mal am Zielgrundstück vorbeibringen würde.

Im Verlauf der nächsten Minuten konnten sie zweimal an der genannten Adresse vorbeifahren und Videos in verschiedenen Spektralbereichen aufnehmen. Doch als Hamide gerade für die dritte und letzte Runde vom Fürstenwalder Damm abbiegen wollte, hielt links neben ihr ein schweres Motorrad, und eine Hand, in deren Handschuh ein Schlagring eingearbeitet war, klopfte gegen das Blech der Fahrertür. Jebo zischte blitzartig in Richtung Laderaum: „Scheiße. Ruhe jetzt da hinten. Da sind noch zehn Bikes hinter uns. Krieg nur im äußersten Notfall.“

Hamide ließ das Fenster an ihrer Tür herunter und musterte den breitschultrigen, mittelalten Fahrer, der ganz in olivgrün und rot gekleidet war und seine Panzerung ganz sicher nicht nur zum Schutz gegen Stürze vom Bike trug. „Was gibts, Chef?“, fragte sie scheinbar arglos.
„Schickes Auto, Tussi“, grinste der Biker sie mit seinem lückenhaften Gebiß an. „Wirklich echt jetzt. Sehr schick sogar. Aber … wie soll ich sagen … also meine Jungs dahinten, die finden alle, daß deine Karre“, er beugte sich ein wenig zur Seite, so daß er Jebo sehen konnte, „also daß diese komische Karre hier von dir und deinem häßlichen kurzpimmligen Stecher irgendwie … naja… schwul aussieht, und daß du deshalb vielleicht einfach nur eine Kack-Transe bist, der man mal ordentlich die Fresse polieren sollte, verstehste? Ich mein, ich bin echt ein richtig umgänglicher Mensch, und ich hab was dagegen, immer nur zuerst Stunk zu machen, verstehste, aber meine Jungs dahinten, die sehen das ein bissl anders. Und ich glaub, wenn ich euch Hackfressen hier nochmal sehen muß, dann kann ich meine Jungs wohl nicht mehr so einfach zurückhalten, und dann, glaub ich, wird hier irgendwas ziemlich schlimmes passieren, verstehste? Is‘ ja auch nur ein gut gemeinter Rat, verstehste? Also wenn ich du wär und mich nicht deswegen sofort erschießen müßte, weil ich bei jedem Blick in den Spiegel kotzen muß, … also ich würd mit meiner schwulen Rotzschüssel einfach wegfahren und nie wieder herkommen, verstehste?“

Hamide versuchte, ein wenig ängstlich auszusehen, und erwiderte mit etwas zitternder Stimme:
„Ja, okay, ist okay, ich fahr da lang, ja?“, während sie den Fürstenwalder Damm stadteinwärts deutete und sich intern eine Notiz machte, dem Berliner Ableger der Breslauer Ulanen, denn um niemand anderes handelte es sich bei dem knappen Dutzend Biker, dereinst mal einen kleinen Besuch abzustatten und einem gewissen Herrn Verstehste jeden einzelnen Knochen im Leib zu Brei zu prügeln. Als der Biker langsam und, wie er bestimmt dachte, unheilvoll nickte, wendete sie den Lieferwagen und fuhr Richtung Stadtzentrum davon, direkt an den anderen Ulanen vorbei, die ihr noch einige Obszönitäten nachriefen.

Als sie sicher war, daß ihr keiner der Biker folgte, sah sie in den Innenrückspiegel, um herauszufinden, was diese seltsamen Geräusche aus dem Laderaum zu bedeuten hatten. Sie sah drei Shadowrunner, die verzweifelt bemüht waren, nicht laut herauszuplatzen und doch in fortgeschrittenen Stadien von Lachkrämpfen gefangen waren, und sie sah einen weiteren Runner, der nicht recht zu wissen schien ob er mehr wütend aufstampfen oder mehr im Boden versinken sollte.
„Gnihihihi“ kicherte Pierosch im zum Scheitern verurteilten Versuch, ernst zu bleiben, „er hat ’schwul‘ gesagt… bwähähähä“. Dann war es um seine Beherrschung geschehen. Prustend lehnte er an der Laderaumwand und gackerte seine Heiterkeit heraus. Kurt hingegen saß still mit verschränkten Armen und nickte nur immer wieder. „Siehste“, konstatierte er, „siehste“. Dazu zeigte er sein schönstes Sonntagsfeixen. Chronist hingegen hatte ja das Vorgeplänkel lediglich aus der Erzählung mitbekommen und war nur in der jetzigen Situation auf dem aktuellen Stand, so daß er sich damit begnügte, amüsiert zu schmunzeln.

Jebo erbarmte sich schließlich und griff zu Gunters Gunsten ein. „Gu, komm runter. Das war wirklich eine blöde Situation. Ja, wir hätten sie fertigmachen können, klar. Aber dann wäre hier erstmal Krieg gewesen und unsere Tarnung im Eimer. Und es wären möglicherweise Wagenladungen irgendwelcher Bullen aufgekreuzt und so weiter, und so fort. Alles nicht das, was wir wollen. Und, by the way“, er machte eine kleine Kunstpause, „beim nächsten Mal hätte ich auch gern ein etwas weniger auffälliges Fahrzeug. Dann muß man nämlich nicht ständig irgendwelche Ganger anzünden und sich von den Chummern auslachen lassen.“
Hamide flüsterte dazu „Aber technisch … tiptop, der Wagen“, was ihr einen tadelnden Blick des Trolls einbrachte.

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„… und ich sage, alles andere ist albern.“ Erregt hämmerte Hamide ihre Faust auf den Tisch. Nach gut drei Stunden Diskussion war nicht nur ihre Geduld am Ende. Auch Pierosch und Kurt schienen auf glühenden Kohlen zu sitzen. Gunter versuchte es noch einmal langsam:
„Sieh mal, Jebo… ich bin der einzige von euch, der einigermaßen ohne Getöse durch einen Porzellanladen dieser Größe latschen kann. Wir sind in dieser Zusammenstellung bestimmt in jeder Hinsicht schlagkräftig, aber, ohne jetzt jemanden angreifen zu wollen, wir sind weder leise noch heimlich. Wenn wir das so versuchen, wird das ein Fiasko, denn wenn … was weiß ich … wenn Savatchi heimlich sein will, muß sie ihre Artillerie zuhause lassen. Und dann werden wir trotzdem entdeckt, weil sie“, er drehte seinen Kopf zu der stämmigen Orkfrau und lächelte entschuldigend, „sorry, Sava…, eben nicht wie ein dürrer Ast durch das Blumenbeet schweben kann. Und was brauchen wir, wenn wir entdeckt werden? Savatchi und ihre Artillerie. Ganz einfach.“
Pierosch sprang ihm bei, indem er noch einen weiteren Aspekt ins Spiel brachte. „Außerdem wird in der Gegend eher mit Einbrechern gerechnet, die was mopsen wollen. Also heimlich umherschleichenden Einzeltätern. Sowas wie Gu eben. Alleine. Nicht mit einer kleinen Armee, die an anderen Dingen als an Sachwerten interessiert ist. Deine „low-Impact“-Strategie in allen Ehren, aber hier und mit uns: nope.“

Den Ausschlag gab dann ausgerechnet der Elf, den Jebo selbst als Verstärkung ins Boot geholt hatte. Lässig lehnte sich Chronist über den Tisch und klopfte dem Troll auf den Unterarm, während er sagte: „ich denke, du bist überstimmt. Denn ich gebe den Jungs“, er unterbrach sich kurz, um eine Verbeugung in Hamides Richtung anzudeuten, „und der Dame natürlich, vorbehaltlos recht. Ich kenne meine Fähigkeiten, aber den Laden hier“ er klopfte auf die vor ihnen liegenden Ausdrucke der Fotos, die sie gemacht hatten, „würd ich nicht ohne dicke Rüstung entern wollen. Erst recht nicht, wenn …“ er warf einen fragenden Blick Richtung Kurt, „Icke, richtig?“, und sprach weiter, als der Magier bestätigend nickte, „also wenn Icke dann auch noch von mindestens sechs Wachelementaren berichtet. Es sollte also jeder mit einer guten und vertrauten Nahkampfwaffe bestückt sein, wenn wir da reingehen. Meine Meinung.“ Dann setze er sich wieder auf seinen Platz und blieb stumm.
Jebo ließ die Schultern hängen. „Okay, bitteschön. Aber daß mir keiner übermütig wird, nur weils dann mal gerade wie geschmiert läuft, okay?
Also dann…“ er zog einen Grundriß zu sich heran, „… steigen wir hier ein.“ Sein dicker Finger bezeichnete einen Punkt an einer hohen Ecke nahe der Wassergrenze des Grundstückes. Gunter notierte erforderliches Material, während die anderen die Taktik besprachen…

 

Fortsetzung hier.

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